top of page

15. Abendlied

Sybille

Nun ruhen alle Wälder,

Vieh, Menschen, Städt und Felder,

es schläft die ganze Welt;

ihr aber, meine Sinnen,

auf, auf, ihr sollt beginnen,

was eurem Schöpfer wohlgefällt.


Wo bist du, Sonne, blieben?

Die Nacht hat dich vertrieben,

die Nacht, des Tages Feind.

Fahr hin; ein andre Sonne,

mein Jesus, meine Wonne,

gar hell in meinem Herzen scheint.


Der Tag ist nun vergangen,

die güldnen Sternlein prangen

am blauen Himmelssaal;

also werd ich auch stehen,

wenn mich wird heißen gehen

mein Gott aus diesem Jammertal.


Der Leib eilt nun zur Ruhe,

legt ab das Kleid und Schuhe,

das Bild der Sterblichkeit;

die zieh ich aus, dagegen

wird Christus mir anlegen

den Rock der Ehr und Herrlichkeit.


Das Haupt, die Füß und Hände

sind froh, dass nun zum Ende

die Arbeit kommen sei.

Herz, freu dich, du sollst werden

vom Elend dieser Erden

und von der Sünden Arbeit frei.

Nun geht, ihr matten Glieder,

geht hin und legt euch nieder,

der Betten ihr begehrt.

Es kommen Stund und Zeiten,

da man euch wird bereiten

zur Ruh ein Bettlein in der Erd.

Mein Augen stehn verdrossen,

im Nu sind sie geschlossen.

Wo bleibt dann Leib und Seel?

Nimm sie zu deinen Gnaden,

sei gut für allen Schaden,

du Aug und Wächter Israel’.

Breit aus die Flügel beide,

o Jesu, meine Freude,

und nimm dein Küchlein ein.

Will Satan mich verschlingen,

so lass die Englein singen:

„Dies Kind soll unverletzet sein.“


Auch euch, ihr meine Lieben,

soll heute nicht betrüben

kein Unfall noch Gefahr.

Gott lass euch selig schlafen,

stell euch die güldnen Waffen

ums Bett und seiner Engel Schar.

Paul Gerhardt (1606 - 1667)




Dieses geistliche Abendlied ist in den Gesangbüchern aller Konfessionen zu finden. Ursprüngliche musikalische Basis ist das Lied "Innsbruck ich muss die lassen" von Heinrich Isaac aus dem Jahr 1495, das Abendlied erschien dann erstmalig 1647 in einem Gesangbuch. Johann Sebastian Bach hat die Melodie, wie es bei ihm so üblich war, mehrfach verwendet, einmal für den Choral auf das obige Abendlied (BWV 392), dann als Orgelchoral unter der BWV 756, aber auch für mehrere Choralsätze in der Matthäus- und der Johannespassion.


Friedrich der Große war wohl kein großer Fan, denn er wird so zitiert:

„Ein jeder kann bei Mir glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist. Was die Gesangbücher angeht, so stehet einem jedem frey zu singen: Nun ruhen alle Wälder, oder dergleichen dummes und thörichtes Zeug mehr. Aber die Priester müssen die Toleranz nicht vergessen, denn ihnen wird keine Verfolgung gestattet werden.“

Thomas Mann bezog sich in den Buddenbrooks eher ironisch auf das Lied und seinen Verfasser: Die beiden Damen Gerhardt, angebliche Nachfahrinnen des Dichters und Mitglieder eines Zirkels frommer Damen der besseren Gesellschaft, treten als skurrile Randfiguren auf. Die schwerhörige Lea Gerhardt liest „mit fürchterlicher Stimme, die klang, wie wenn sich der Wind im Ofenrohre verfängt“ die Zeilen „will Satan mich verschlingen“, worauf Tony Buddenbrook denkt „welcher Satan möchte die wohl verschlingen?“

Quelle: Wikipedia


BWV 756 (der Orgelchoral) findet sich auf sehr vielen Samplern wieder und ist offensichtlich multifunktional einsetzbar: Sowohl als Schlaflied, wahlweise als Spring Classic oder als Winter Classic, Summer Evening, Classical for Reading, Cooking Classics, After Dinner, oder, besonders nutzwertig: Classical for Cleaning.





 
 
 

Comments


©2021 VivaceBlog. Erstellt mit Wix.com

bottom of page