18. Es muss doch mehr als alles geben
Dieser Satz ist der Titel eines Buches von Dorothee Sölle, der Dichterin und feministischen Theologin, die stark mit der Friedensbewegung der 80er Jahre verbunden war. Ihr Ehemann, Fulbert Steffensky, ebenfalls Theologe und ehemaliger Mönch, sagte es so:
„Etwas vermissen, das ist eine große Fähigkeit des Menschen. Nicht so dickärschig abgefunden zu sein. Dass der Mensch weiß, er ist hier nicht endgültig zu Hause. Selbst wenn es nur für Stunden oder Minuten ist, das Gefühl, es steht noch etwas aus, die Lahmen gehen noch nicht, die Blinden sehen noch nicht, die Tränen sind noch nicht abgewischt. Also man braucht mehr als dem Menschen hier gegeben ist.“
Augustinus schon hat den Satz geprägt: „Homo desiderium dei“. Die Lateiner unter uns wissen, dass man dies zweifach übersetzen kann: „Der Mensch ist Sehnsucht nach Gott“ und: „Der Mensch ist die Sehnsucht Gottes!“ Eine gewagte und faszinierende Vorstellung: Gott sehnt sich nach dem Menschen. Weil Gott Sehnsucht hatte, hat er die Welt, hat er den Menschen geschaffen: „Gott hatte Sehnsucht nach Wesen, die gemeinsam mit ihm lieben“, so drückt es der Franziskanertheologe Johannes Duns Scotus aus. Gott sehnt sich nach den Menschen: Und der Menschen Sehnsucht ist Gott. Weil wir uns der Sehnsucht eines maßlosen Gottes nach der Schöpfung verdanken, trägt die Schöpfung und in ihr der Mensch eine maßlose Sehnsucht nach Gott in sich. Die Bibel lässt an vielen Stellen etwas von dieser Sehnsucht Gottes nach dem Menschen durchleuchten. Die bekannteste ist sicherlich jenes lukanische Gleichnis, in dem der Vater sehnsüchtig Ausschau hält nach dem jüngeren Sohn, den die Sehnsucht nach prallem Leben hinaus in die Ferne getrieben hat. Gott, die große Sehnsucht, die alles überschreitende Kraft der Liebe, aus der wir hervorgehen, wird uns am Ende auch wieder umschließen.….
Zitiert aus: https://www.ph-
Und genau das hat Nelly Sachs mit der Schlußstrophe des Gedichtes ausgedrückt, das dem diesjährigen Adventskalender den Titel gegeben hat:
Alles beginnt mit der Sehnsucht
[…]
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht
damit anfangen,
Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.
Als Musik heute von Joseph Rheinberger das "Dextera domini" aus den Hymnen op. 140. Das Stück erklang bei dem bereits erwähnten Even-Song im Hamburger Michel im Februar.

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