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5. Lioba oder Die Schweizer Krankheit

Sybille

«Zu Strassburg auf der Schanz, / Da ging mein Trauren an, / Das Alphorn hört ich drüben wohl anstimmen, / Ins Vaterland musst ich hinüber schwimmen, / Das ging nicht an.»


So beginnt das Klavierlied «Der Schweizer» aus «Des Knaben Wunderhorn» von Gustav Mahler. Dem Soldaten in fremden Diensten misslingt die Flucht rheinaufwärts, und er kommt vor ein Schiesskommando.


Heimweh ist tödlich. Das beschreibt der Luzerner Heerführer Ludwig Pfyffer (1524–1594) schon 1569 in einem Brief, worin er den Tod eines Söldners nach der Schlacht von Jarnac  zu beklagen hat: «… der Sunnenberg gestorben von heimwe …» Dass sich dieser Sunnenberg aufseiten der französischen Armee im Kampf gegen die Hugenotten schwer verletzt hat, erwähnt Pfyffer nur am Rand. Denn das Heimweh gilt per se als tödliche Krankheit.


Es ist der Mülhausener Mediziner Johannes Hofer, der sie erstmals 1688 in seiner Basler Dissertation beschreibt und ihr den Namen «Nostalgia» gibt. Der Zürcher Arzt Johann Jakob Scheuchzer regt die Diskussion weiter an: Während Hofer die Ursache für Heimweh im Gehirn verortet, gibt Scheuchzer die Schuld dem Luftdruck, der in flachen Ländern höher sei als in den Alpen und deshalb die Blutzirkulation der Schweizer, die «den obersten Gipfel von Europa» bewohnen, behindere.


So macht sich das Heimweh als «morbus helveticus», als Schweizer Krankheit, einen Namen, weil besonders viele Eidgenossen im Ausland darunter leiden und Zeichen von Entkräftung und Fieber zeigen. Sie verdingen sich im 18. Jahrhundert als Soldaten und Leibwächter an europäischen Fürstenhöfen, bei französischen Königen und beim Papst. Schweizer ist für sie eine eigentliche Berufsbezeichnung.


Am französischen Hof sei es den Schweizern unter Androhung der Todesstrafe verboten, das Guggisberglied und den Ranz des vaches (das traditionelle Hirtenlied Kuhreihen) zu singen – so das Gerücht. Tatsache ist, dass der Basler Mediziner Theodor Zwinger (1658–1724) in seiner Sammlung «Fasciculus Dissertationum Medicarum Selectiorum» (1710) die Behauptung aufstellt, der Kuhreihen löse Heimweh aus und verleite Schweizer Soldaten in fremden Diensten zur Fahnenflucht.


«Lioba, Lio-o-ba!» Wenn ein Sänger irgendwo auf der Welt diese wenigen Silben aus dem Refrain des Ranz des vaches anstimmt, verstummen alle rundherum, um danach die Worte im Chor zu wiederholen. Ein Herz aus Stein muss haben, wen dieses Lied nicht anrührt! An der Fête des Vignerons, dem Winzerfest in Vevey, ist das im Freiburger Patois gesungene Chorstück jeweils der Höhepunkt. Und es mag in der Arena mit den mehreren Tausend Zuschauern noch so heiss sein, es läuft einem beim Zuhören kalt den Rücken runter.


Gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz ist der Kuhreihen erstmals 1545 als Instrumentalmelodie belegt. Hirten übernehmen die Melodie für ihr Lied «Har Chueli, ho Lobe», um die Kühe (auch Lobe genannt) auf der Weide einzutreiben, in eine Reihe zu locken und fürs Melken zu beruhigen. Der Kuhreihen findet später Eingang in viele Kompositionen vom Klassiker Ludwig van Beethoven (1770–1827) bis zum Romantiker Robert Schumann (1810–1856) – die Schweizer Krankheit Heimweh ist jetzt ein Weltschmerz.“


Wer bei Beethoven sucht, schaue in die 6. Sinfonie, die Pastorale, genauer den 5. Satz, der überschrieben ist mit „Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Allegretto“. Das Allegretto „beginnt mit einer fünftaktigen Phrase in der Klarinette in C-Dur, die aufgrund ihrer melodischen Faktur einem ranz des vaches (Alphornruf) gleicht. In Takt 5 übernimmt das Horn, ehe die simple Dreiklangs-Melodie sich in der Folge dann aber auf geniale Weise in das achttaktige liedhafte Hauptthema (T. 9–16) dieses freundlichen Satzes verwandelt.


Die ranz-des-vaches-Phrase kehrt im weiteren Verlauf des Satzes einige Male wieder, so z. B. direkt vor der Reprise in den ersten Violinen sowie in der Flöte, Oboe, Klarinette und im Horn (T. 56–63) oder in den Takten 109–116 in den Flöten und Oboen sowie in der Klarinette und im Horn, und erklingt schließlich in den letzten Takten nochmals solistisch im gedämpften(!) Horn, wo sie das Werk harmonisch in der Grundtonart F-Dur abrundet. Bemerkenswerterweise notiert Beethoven im Anschluss an die beiden lauten Schlussakkorde eine Fermate über die nachfolgende Pause(!) – dies vermutlich mit der Intention, die Sinfonie ideell ausklingen und beim Hörer innerlich nachwirken zu lassen.“

Zitiert nach Wikipedia



 
 
 

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