6. Die Wälder schweigen
Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder. Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt. Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder. Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder. Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.
Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen. Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch. Man träumt von Äckern und von Pferdeställen. Man träumt von grünen Teichen und Forellen. Und möchte in die Stille zu Besuch.
Man flieht aus den Büros und den Fabriken. Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund! Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken, wird man gesund.
Die Seele wird vom Pflastertreten krumm. Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden und tauscht bei ihnen seine Seele um. Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm. Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.
Erich Kaestner (1899-1974)

Die Musik des heutigen Tages kennt sicher jeder, und die meisten würden sie wohl Johann Sebastian Bach zuordnen. Tatsächlich ist das Stück im Original von Alessandro Marcello und das Adagio seines Oboen-Konzertes in d-moll.
Alessandro Ignazio Marcello (1673-1747) war ein italienischer Dichter, Jurist, Komponist und Philosoph. Heute ist er wie sein Bruder Benedetto Marcello hauptsächlich als Komponist des Barock bekannt.
"Dieses Konzert ist nicht nur der sogenannte Archetypus des Oboenkonzerts, das erste richtige virtuose solistische Oboenkonzert der Geschichte. Sondern es war so beliebt und auch so beeindruckend, dass Johann Sebastian Bach sich das hat kommen lassen, und er hat es für sein Instrument bearbeitet, für den Kielflügel, also das Cembalo." (Albrecht Mayer, Oboist).
"Albrecht Mayer hat die Verzierungen von Bach wieder auf die Oboe übertragen. Wer das Werk kennt, dürfte das als ungewohnt empfinden. Doch wer weiß, ob nicht auch Alessandro Marcello schon an ähnliche Umspielungen gedacht hat, als er das Konzert komponierte: Diese doch recht geradlinige Melodieführung, die wir heute in den Noten sehen - war sie vielleicht nur eine Art "Richtschnur" für den Virtuosen, nach der dieser sich entfalten konnte? Immerhin haben wir ein typisches Barock-Konzert vor uns." BR-Klassik
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