8. Die blaue Blume
Die blaue Blume - das zentrale Symbol der Romantik - steht für die romantische Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, Unendlichen und Unbedingten. Dieses Motiv lässt sich auf eine altdeutsche Sage zurückführen, die besagt, dass man des Nachts die blaue Wunderblume finden könne und dadurch reich belohnt werde. So steht die Wunderblume für eine Sache, die schwierig zu erreichen ist, aber von vielen ersehnt wird. Dieses Motiv wird erstmalig von Novalis in seinem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ aufgegriffen.
Das lyrische Ich in der Romantik befindet sich nicht selten an der Schwelle zwischen Realität und Traum, zwischen Wirklichkeit und Wunsch, zwischen Tag und Nacht. Es steht in der Dämmerung, blickt aus dem Fenster oder von einem Punkt in der Landschaft in die Ferne, hängt seinen Gedanken nach und – sehnt sich.
Diese Sehnsucht meint aber keinen konkreten Ort, sondern eine glücklichere Welt, in der der Einzelne nach seinem Willen leben kann, eine Welt, in der Fantasie, Träume und Gefühle, das Geheimnisvolle und das Märchenhafte mehr wert sind als der banale, bedeutungslose Alltag. Die Romantiker wandten sich von der oberflächlichen Gegenwart ab und flüchteten in Gedanken in den Traum oder in die Vergangenheit. Die romantische Sehnsucht entspringt wesentlich der Furcht vor der Entfremdung des Menschen und der Angst vor Fremdbestimmung.
So wird deutlich, dass die blaue Blume „das Streben nach der Erkenntnis des Selbst“ symbolisiert. Die Betonung liegt auf dem Individualismus. Das Selbst verkörpert somit das Fühlen, das Denken des Einzelnen, das Ich – wobei das Selbst hier als Ergebnis seines eigenen Erkenntnisvorganges benannt ist. Das Selbst ist also alles in einem: Erstens: der, der über sich nachdenkt, zweitens: der, der fühlt, und über dessen Gefühle/Gedanken nachgedacht wird, und drittens: das Ergebnis der Reflexion, nämlich eine Art höheres Ich, ein höheres Selbst, das, was erkannt wurde. Der Begriff des Erkennens führt wieder zur Liebe. Erkenntnis der Natur findet infolgedessen statt, indem man die Liebe in all ihren Erscheinungsformen durchlebt. Dann erkennt man die Natur und – in ihrer Folge – auch sein Selbst.
So kann man sagen, dass sich in der blauen Blume nicht nur Natur, Mensch und Geist verbinden, sie symbolisiert das Streben nach der Erkenntnis der Natur und – daraus folgend – des Selbst, dem eigentlichen Ziel der Romantik.
Musik: Den Cellisten Bruno Philippe hörte ich bei einer fabelhaften Aufführung beim Inselfest Hombroich im Juni. Unter dem Titel „Spuren des Spirituellen“ spielte er alle sechs Cello-Suiten von Bach an einem Tag. Ein riesiger Kraftakt, den er bravourös meisterte. Von den sechs Cello-Suiten sagte Pau Casals: „Sie sind die Quintessenz von Bachs Schaffen, und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik.“
Für unseren musikalischen Kalender habe ich aus Bruno Philippes Schaffen allerdings ein kleineres Stück, nämlich das Lied „Après un rêve“ von Gabriel Fauré aus seinen Drei Liedern op. 7 in der Version für Cello und Klavier gewählt.

Schon wieder ein toller Clin d’œuil - wir singen von genau diesem Lied (und anderen aus der Zeit) ein Arrangement für Chor am 16. Januar in unserem Neujahrskonzert ;)